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Tropensatte Tage

Hannah Glaser
Keine Bettenburgen, keine Partymeile, keine Strandpromenade. Stattdessen staksen Reiher über den weißen Sand, und hinter dem Hotel beginnt der 400 Jahre alte Regenwald. Die malaysische Insel Langkawi hat sich dem Ökotourismus verschrieben.

Der Mann ist nicht nur höllisch attraktiv, er hat auch einen sechsten Sinn. Jedenfalls sieht er ständig etwas, was wir nicht sehen. Irshad Mobarak ist Regenwaldexperte und weiß, wie raffiniert sich die tropische Tierwelt tarnt. Das reglose, angefaulte Wurzelholz neben seinem Fuß? Er tippt es kurz an, und es entfaltet sich zu einer tellergroßen Tarantel, die blitzartig in einer Erdhöhle verschwindet. Ein paar Schritte weiter bleibt unser
Dschungelführer vor einem mächtigen Baum stehen. Was ist hier das Besondere? Rollt sich eine grüne Viper um den Ast? Schaut irgendwo ein Kauz aus seinem Loch? Wir können beim besten Willen nichts entdecken. Bis Irshad Mobarak auf zwei kleine, mattgelbe Augen deutet. Tatsächlich: Ein Riesengleiter hat Arme und Beine um den Stamm geschlungen, nur mühsam kann man die Konturen seines Kopfs ausmachen, obwohl er kaum einen Meter von uns entfernt ist. Der Rest des Lemurs ist dunkel genarbter Pelz, der sich von der Rinde so wenig abhebt wie Schnittlauch von einer Rasenfläche.

Und was ist mit unseren Ohren? Können wir auch ihnen nicht mehr trauen? Im Kino hört sich der Urwald meist an wie ein tropisches Tollhaus, in dem es fortwährend kreischt und krächzt, zirpt und heult. Hier auf der Insel Langkawi dagegen ist er leise, oft herrscht sogar tiefe Stille. Haben wir also auch ein Hörproblem? Irshad Mobarak lacht: Im Dschungel machen die Tiere nie grundlos Krawall, jeder Laut ist absichtsvolle Kommunikation. Und er dolmetscht die Geräusche simultan. Da – die Warnschreie der Eichhörnchen, sie bedeuten „Achtung Raubvogel“. Und was soll der plötzlich einsetzende, nervig-sirrende Dauerton, der sich anhört, als würde eine elektrische Leitung durchschmoren? Eine Zikade verursacht diesen Lärm. Sie hat 16 lange Jahre verpuppt unter der Erde verbracht und darf nun für ein paar Tage leben. Jetzt sucht sie dringend eine Partnerin und hat also guten Grund, etwas laut zu werden.

Allmählich begreifen wir, dass man kein heiliger Franziskus sein muss, um die Sprache der Tiere zu verstehen. Deshalb möchten wir uns am liebsten gleich für einen zweiten „Nature Walk“ aus Irshad Mobaraks Programm anmelden. Leider vergeblich: Der Meister ist für die nächsten Tage komplett ausgebucht. Er nimmt nie mehr als sechs Gäste mit, „es muss Zeit genug sein, um jedem in die Augen zu schauen“. Dieser Mann hat seine Passion, seine Lebensaufgabe gefunden. Und deshalb konnte er auch Politiker und Planer davon überzeugen, dass ein geschützter Regenwald auf Dauer mehr Geld einbringt als einer, der abgeholzt wird.

Denn für Langkawi gab es früher ganz andere Visionen. Malaysias einstiger Regierungschef Mahathir bin Mohammed wollte aus dem vergessenen Idyll in der Andamanensee ein Touristenzentrum formen nach dem Vorbild der thailändischen Nachbarinsel Phuket: mit Bars, Bierkneipen und Betonburgen. 1987 wurde die Insel zur Freihandelszone erklärt und mit Flug- und Fährhafen sowie einer vierspurigen Schnellstraße ausgestattet. Hundert Millionen Dollar ergossen sich über Langkawi, es entstanden ein halbes Dutzend Hotels, ein Meeresmuseum, eine Gondelbahn auf den höchsten Berg, zwei Golfplätze und drei klimatisierte Shoppingmalls, voll mit Duty-free-Waren. Als Zeichen des Aufbruchs wuchs im Hafen eine zwölf Meter hohe Skulptur empor. Sie stellt eine Brahminenweihe dar, den Symbolvogel der Insel, um den sich viele Mythen ranken.

Doch die neue Regierung, die 2003 an die Macht kam, stoppte die Entwicklung zum durchgestylten Touristenziel. Stattdessen setzt sie auf die grüne Karte, auf gebildete und naturverbundene Besucher. „Wer Bargirls sucht, der ist hier falsch“, sagt Megat Shahrul, Chef der Entwicklungsbehörde Langkawi Development Authority (Lada). „Die Infrastruktur ist hervorragend, die politische Lage stabil, Tropenkrankheiten gibt es keine, die Gäste treten aus dem Hotel und stehen gleich im 400 Jahre alten Regenwald“, erklärt auch Johnny Cordier. Der gebürtige Hamburger war im früheren Leben Airbusmanager in Toulouse. Inzwischen lebt er seit 20 Jahren auf Langkawi und führt das Lighthouse, ein Restaurant, dessen Tische direkt am Strand stehen.

Im Juni 2007 deklarierte die Unesco die 99 Inseln des Langkawi-Archipels (von denen 98 unbewohnt sind) zum ersten Geopark Südostasiens – ein ökologischer Ritterschlag für die malaysische Insel. Die Gesteinsschichten, die hier an die Erdoberfläche treten, gehören zu den ältesten der Erde. Die Hotels unterliegen nun strengen Auflagen, ökologisches Wirtschaften soll gefördert werden, ebenso die traditionelle Kultur. Zum Beispiel der Nachtmarkt, der in wechselnden Inselorten jeden Abend zum Sonnenuntergang als buntes Straßenfest beginnt. Touristen kann man hier an einer Hand abzählen, noch sind die Einheimischen unter sich. Männer schaffen Obst, Gemüse und frische Fische auf knatternden Mopeds herbei, scharfe Nudelgerichte dampfen in gewaltigen Pfannen, winzige Omeletts mit Kokosfüllung brutzeln auf heißen Platten, gebratene Garnelen werden in heiße Erdnusscreme getunkt.

Ziel der neuen, grünen Politik ist es aber auch, den Gästen authentische Naturerlebnisse zu vermitteln. Dazu gehören Bootstouren durch die Mangrovensümpfe im wasserreichen Nordosten der Insel. Bisher verschlägt es täglich nur ein paar Dutzend Neugierige in das malerische Zwischenreich, wo das Süßwasser des Flusses Kilim und das Salzwasser der Andamanensee ineinander übergehen. Im kleinen Hafen laden Fischer wie seit Jahrhunderten ihren Fang aus, bunte Holzboote liegen bereit für eine Fahrt auf dem trägen Sungai Kilim.

Wir besteigen eines der Boote und tuckern mutterseelenallein durch die schattigen Kanäle des Mangrovenlabyrinths. Um uns herum wachsen zerklüftete, grüne Sandsteinkegel in den Himmel. In den Luftwurzeln der Stelzenbäume turnen rothaarige Makaken. Schlammspringer, die auf den Vorderflossen balancieren, malen mit ihren Körpern feine Linien in den nassen Schlick, die bizarren, stiläugigen Fische können sich auch an Land bewegen. Wenn das Boot anlegt, kommen Affen bis auf Armnähe an uns heran, neugierig, aber immer fluchtbereit, die Jungen krallen sich bei ihren Müttern fest ins Fell. Einmal gleitet ein meterlanger Leguan neben uns ins Wasser, weiße Reiher stehen einbeinig im Unterholz.

Nur aus Bambuspfählen und einem Palmendach besteht das Restaurant, das wir zur Mittagspause anlaufen, in einer malerischen Felsenbucht schwimmt es auf dem Wasser. Speisekarten gibt es nicht, der Fang des Tages kommt, in Bananenblätter gewickelt, vom Holzkohlegrill direkt auf den Tisch. Nachmittags wandern wir durch eine Höhle, die nur vom Fluss aus zu erreichen ist. Im Licht der Taschenlampe tauchen an der steinernen Decke Tausende winzige Fledermäuse auf. Unsere Rückfahrt führt übers offene Meer, wir sitzen auf dem hölzernen Bug und lassen die Beine ins türkisfarbene Wasser baumeln. Der Skipper gibt Gas, und in der Bugwelle springen minutenlang Delfine.

Und dann gibt es die tropensatten Tage,an denen die Inselträgheit in alle Poren kriecht, Tage, die zwischen Pool, Spa und Strand vergehen. Langkawis Strände sind postkartenschön. Die zwei populärsten, Cenang und Tengah, liegen im Südwesten, knapp zehn Autominuten vom Flughafen entfernt. Chinesische, thailändische und malaiische Restaurants ziehen sich dort die Straße entlang, nachts blinken ein paar Lichterketten in den Bäumen. Wenn man überhaupt von Remmidemmi reden will, dann hier. Mit ihren sauberen und billigen Herbergen zählen beide Strände zu den Lieblingsadressen der Rucksacktouristen.

Die Preise sind für Europäer märchenhaft niedrig. Umgerechnet zwei Euro reichen aus, um sich in einem lokalen Restaurant satt zu essen, handbemalte Seidentücher im Riesenformat sind für 15 Euro zu haben. Für zehn Euro schläft man im blitzsauberen Zimmer, für 300 Euro gibt es ein Appartement mit Küche und mehreren Schlafzimmern – und zwar nicht für eine Nacht, sondern für vier Wochen.

Wirklich teuer sind nur die vier Luxushotels, die an der einsamen und touristisch unerschlossenen Nordküste liegen. Die Schwesterhotels Datai und Andaman, unter britischer und kanadischer Leitung, teilen sich dort die wohl schönste Bucht der Insel: eineinhalb Kilometer weißer Sand, der sich halbmondförmig an den dunklen Urwald schmiegt. Und egal wo man auf Langkawi wohnt, eine abendliche Stunde in der magischen Atmosphäre des Datai-Hotels sollte sich jeder gönnen. Das Luxusresort im Kolonialstil ist fast ein Teil des Regenwalds, nach Einbruch der Dunkelheit herrscht in der nach allen Seiten offenen Lobby die weltferne, heiter-melancholische Atmosphäre einer Hemingway- Erzählung. Samtweich weht der Tropenwind, lautlos rotieren die Ventilatoren an der hohen Kassettendecke. Die Gäste liegen in Korbsesseln, nippen an ihren Cocktails, lauschen dem Pianisten am Flügel und den Fröschen im Seerosenteich.

Humphrey Bogart und Lauren Bacall sucht man vergebens, aber manchmal kommt Irshad Mobarak vorbei. Allerdings nur, um die Taschenlampe aufzuladen. Denn direkt vor dem Hoteleingang beginnt wieder sein dreistündiger Nightwalk durch den Dschungel.

By: Sonntag Aktuellm – 08 June 2008